Wenn Angst das Leben bestimmt (Seite 12/12)

Entspannung und Sport: Mit Selbsthilfe gegen Ängste

Vertrauen verdrängt Angst

Wenn Sie Ängste haben, die Sie eigentlich für übertrieben halten oder wenn Sie wegen der Angst Dinge vermeiden, sollten Sie frühzeitig reagieren.

Selbsthilfe

Was Sie bei leichterer Angst tun können

Die wichtigste Regel lautet: Vermeiden Sie keine Dinge oder Situationen, die Angst auslösen! Stattdessen sollten Sie sich diesen Situationen bewusst stellen. Suchen Sie die Situationen also trotz der Angst auf und halten Sie die Angst aus. Denn so können Sie die Erfahrung machen, dass gar nichts Schlimmes passiert – und dass die Angst mit der Zeit immer weniger wird oder ganz verschwindet.

Bei sozialen Ängsten können Sie bewusst üben, fremde Menschen anzusprechen oder einen Vortrag zu halten. Haben Sie Angst vor dem Aufzug- oder U-Bahn-Fahren oder belebten Plätzen, üben Sie genau diese Situationen immer wieder. Sinnvoll ist dabei, schrittweise vorzugehen: Fangen Sie mit Situationen an, die Ihnen weniger schwerfallen und gehen Sie nach und nach zu schwierigeren Situationen über.

Machen Sie sich dabei immer bewusst, welche Situationen Sie schon trotz der Angst gut gemeistert haben und freuen Sie sich über jeden Erfolg. Das kann Sie dazu ermutigen, weitere Situationen in Angriff zu nehmen.

Weitere mögliche Strategien zum Umgang mit der Angst sind:

  • Sie können Entspannungstechniken oder Atemübungen einsetzen, um sich selbst zu beruhigen. Bei einer Atemübung konzentrieren Sie sich bewusst auf das Ein- und Ausatmen. Das lenkt die Aufmerksamkeit von der Angst ab und kann dazu beitragen, ruhiger zu werden.
  • Es kann hilfreich sein, sich in Angstsituationen selbst gut zuzureden. So kann man sich sagen: „Ich habe schon Situation X und Y gut geschafft. Jetzt werde ich auch Situation Z gut bewältigen.“
  • Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass die körperlichen Symptome der Angst wie Herzrasen oder Schwindel nichts Schlimmes sind und nicht zu schwerwiegenden körperlichen Folgen, etwa einem Herzinfarkt oder einer Ohnmacht führen.
  • Vermeiden Sie starken Stress und Druck und eignen Sie sich Strategien an, um gut mit Stress und Belastungen umzugehen. So kann es hilfreich sein, öfters am Tag eine kurze Pause zu machen, in der man ein paar Schritte geht oder bewusst tief durchatmet. Eine Pause kann auch hilfreich sein, wenn man feststellt, dass Angst und Anspannung zunehmen.
  • Regelmäßiger Sport und Bewegung können helfen, Stress und Anspannung abzubauen.
  • Sprechen Sie offen über Ihre Ängste und nehmen sie die Unterstützung von anderen an. Sie können sich an Freunde oder Angehörige wenden oder an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen.
  • Es kann hilfreich sein, die Angst spielerisch und mit Humor zu nehmen. So können Geschichten, in denen der Hauptdarsteller lernt, mit der Angst umzugehen, Mut machen und dazu anregen, die Angst auf spielerische Weise zu bewältigen.

Was Sie nicht tun sollten

Auf keinen Fall sollten Sie versuchen, die Angst mit Beruhigungsmitteln, Alkohol oder Drogen zu bekämpfen. Das kann zwar kurzfristig Erleichterung bringen, führt aber dazu, dass Sie immer mehr auf diese Substanzen angewiesen sind. So kann sich leicht eine Abhängigkeit entwickeln. Insgesamt sollten Sie viel Alkohol, Nikotin und Koffein vermeiden, weil diese die Angst und innere Unruhe verstärken können.

Entspannungsverfahren

Entspannungsverfahren sind vor allem für die Veränderung der starken körperlichen Anspannung bei Ängsten wichtig. Durch eine geringere Anspannung nehmen häufig auch die körperlichen Symptome der Angst wie Unruhe, Herzklopfen oder Druck auf der Brust deutlich ab.

Zu den wichtigsten Entspannungsverfahren gehören die progressive Muskelentspannung (PME) nach Edmund Jacobson, das autogene Training nach Johannes Schultz und Biofeedback-Methoden.

Die progressive Muskelentspannung (PME)

Die PME ist handlungsaktiv und deshalb sehr gut geeignet für Menschen, die noch keine Erfahrung mit Entspannungsverfahren haben, weil die Übenden sich sozusagen an den Bewegungen festhalten können und nicht sofort mit ihren innersten Gefühlen konfrontiert werden.

Edmund Jacobson entdeckte, dass alle psychisch Kranken unter Muskelverspannungen leiden, dass Spannung und Anstrengung die Muskelfasern verkürzen und Entspannung Erregungszuständen entgegenwirkt. Wenn es also gelingt, die Muskeln des Körpers zu entspannen, dann würde das auch einen positiven Effekt auf die psychische Verfassung haben, so war der Ansatz des 1888 in Chicago geborenen Arztes.

In den Übungen werden bestimmte Muskelgruppen kurz und nur sanft angespannt und das vor allem, um das anschließende Loslassen und die damit verbundene Entspannung bewusst wahrnehmen zu können. Es geht dabei darum, den Unterschied zwischen An- und Entspannung wahrnehmen zu lernen und die Entspannung selbstaktiv zu induzieren.

Progressiv meint fortschreitend. Hinsichtlich der progressiven Muskelentspannung bedeutet das einerseits, dass immer mehr Muskelgruppen in die Übungen integriert werden und andererseits, dass die Muskelgruppen nach einer gewissen Übungszeit so zusammengefasst werden, dass der Übende das Loslassen in jeder Lebenssituation anwenden kann und damit die Entspannung mehr und mehr zu seiner Grundhaltung werden lässt. Damit soll auch die Restspannung fortschreitend gemindert werden.

Das autogene Training

Der 1884 in Göttingen geborene Psychiater Johannes Schultz entwickelte in seiner Auseinandersetzung mit der Hypnose das autogene Training. Schultz entdeckte, dass der Mensch im Entspannungszustand seine Muskeln als schwer und seinen Körper als warm empfindet, die Atemfrequenz sinkt und der Herzschlag ruhiger wird. Insgesamt werden die Gedanken ruhiger und der Mensch empfindet Vertrauen und Freude.

Schultz erkannte, dass der Mensch diesen Entspannungszustand auch selbstaktiv mittels innerlich schweigend gesprochener Formeln induzieren kann. Je regelmäßiger und dauerhafter geübt wird, desto schneller kann der Übende den Entspannungszustand einstellen.

Das autogene Training erfordert mehr Konzentrationsfähigkeit als die progressive Muskelentspannung und ist deshalb nicht geeignet, wenn Aufmerksamkeit, Affekte und Antrieb stark gestört sind, wie das bei psychischen Erkrankungen beispielsweise bei der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, bei ADHS, bei schweren Depressionen oder bei starken Zwangsstörungen der Fall ist.

In bestimmten Fällen eignet sich die progressive Muskelrelaxation als Einstieg in die Entspannungsverfahren. Absolute Kontraindikationen sind psychotische Erkrankungen wie Schizophrenie, auch mangelnde intellektuelle Voraussetzungen, weil das Prinzip der Übungen nicht verstanden werden kann und damit die Übungen nicht durchgeführt werden können.

Wer wirklich entspannt ist, empfindet Freude statt Angst. Diese Entspannungsverfahren werden deshalb auch psychotherapeutisch eingesetzt. So hat beispielsweise Joseph Wolpe die systematische Desensibilisierung entwickelt. Dabei lernen Klienten zuerst ein Entspannungsverfahren. Nachdem sie den Entspannungszustand induzieren haben, werden sie in Beisein des Therapeuten mit dem angstauslösenden Reiz konfrontiert und machen die Erfahrung, dass er keine Angst mehr in ihnen auslöst.

Diese Entspannungsverfahren können bewusst als Coping Skills eingesetzt werden. Sie befähigen den Menschen mit der Zeit, bestimmte Situationen anders zu bewerten und insgesamt entspannter zu erleben.

Mit Biofeedback körperliche Reaktionen beeinflussen

Biofeedback bedeutet auf Deutsch biologische Rückkopplung. Dabei geht es darum, physiologische Prozesse wie Herzschlag, Puls oder sogar auch Hirnströme, die normalerweise unbewusst ablaufen, so transparent zu machen, dass der Klient einen Zusammenhang zwischen seinen Einstellungen oder seinem Verhalten und seinen körperlichen Reaktionen erkennen kann.

Die Geräte und Apps, die dafür verwendet werden, sind sehr unterschiedlich. So werden beispielsweise Sensoren am Körper des Klienten angebracht, die über ein Kabel an einen Computer angeschlossen sind. Der Klient sieht auf dem Bildschirm die gemessenen Werte und kann sie in Bezug zu seinem eigenen Befinden setzen. So bekommt er ein Verhältnis dazu, wie und auch wann sein Körper beispielsweise auf für ihn stressige Gedanken oder Situationen reagiert.

Um die körperlichen Reaktionen positiv zu beeinflussen, wenden die Klienten während der Biofeedback-Sitzung beispielsweise Entspannungsverfahren an. So erleben sie, dass sie die Werte, die sie auf dem Bildschirm sehen, selbst zugunsten ihrer Gesundheit beeinflussen können. Der Klient nimmt also live wahr, wie er etwa durch die Schwereübung des autogenen Trainings seinen Puls selbstaktiv senken kann.

Mit Sport Angst abbauen

Auch Sport kann eine hilfreiche Maßnahme sein, um Angst und Anspannung zu reduzieren. In besonders gefährlichen Situationen hat Angst eine warnende Funktion und die dadurch entstehende Stressreaktion bereitet uns in Sekundenschnelle auf Kampf oder Flucht vor. Die dadurch vermehrt ausgeschütteten Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin, Insulin und Cortisol müssen jedoch durch Aktivität abgebaut werden, sonst belasten sie den Organismus und eine anhaltende Stressreaktion macht auf Dauer krank.

Sport baut diese Hormone wieder ab und setzt stattdessen Endorphine frei. Die auch als Glückshormone bekannten Endorphine lassen uns wohl und entspannt fühlen und machen uns viel fähiger, auf gesunde Weise auf Belastungen zu reagieren. Regelmäßiger Sport, besonders auch Ausdauersport, trägt dazu bei, insgesamt viel resistenter gegenüber Stress zu werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass bereits 30 Minuten Sport am Tag zu einer deutlichen Verminderung der Angstsymptome führen.

Quellen

  • Medizin- und Gesundheitsdienst Onmeda: www.onmeda.de
  • S. Schmidt-Traub und T.-P. Lex (2005): Angst und Depression. Hogrefe-Verlag, Göttingen.
  • WHO (2010). Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10, Kapitel V (F). Klinisch-diagnostische Leitlinien. 7., überarbeitete Auflage. Hrsg. H. Dilling, W. Mombour & M. H. Schmidt. Verlag Hans Huber, Bern.
  • K. Lieb, B. Heßlinger & G. Jacob (2009). 50 Fälle Psychiatrie und Psychotherapie. Bed-side-learning. Urban & Fischer Verlag, München.
  • J. Margraf & S. Schneider (2009). Lehr buch der Verhaltenstherapie. Springer-Verlag, Heidelberg.
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