Psychische Erkrankungen im Alter (Seite 8/10)

Medikamenten­missbrauch im Alter

Suchtgefahr bei Schlaf-, Beruhigungs- und Schmerzmitteln

Nach Schätzungen von Experten sind in Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen medikamentenabhängig. Zwei Drittel davon sind Frauen. Ältere Menschen sind häufiger betroffen als jüngere. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Von den oft verschriebenen Präparaten besitzen etwa vier bis fünf Prozent ein Missbrauchs- oder Suchtpotential. Ein hohes Suchtpotenzial besitzen vor allem Beruhigungs- und Schlaf- sowie Schmerzmittel.

Detaillierte Informationen zur Problematik von Schlaf- und Beruhigungsmitteln finden Sie im Kapitel „Psychopharmaka“ in den Abschnitten „Beruhigungsmittel“ und „Schlafmittel“.

Häufigkeit und Verlauf

Bei älteren Menschen werden deutlich mehr Psychopharmaka verordnet als bei jüngeren – unter anderem mit dem Ziel, die psychischen Begleiterscheinungen von körperlichen Krankheiten zu lindern. Dabei gehören Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine zu den am häufigsten verordneten Medikamenten: Ihr Anteil an den Psychopharmaka bei älteren Menschen liegt bei 80 Prozent.

Untersuchungen haben gezeigt, dass drei bis 16 Prozent der älteren Menschen Benzodiazepine länger als ein halbes Jahr einnehmen – ein Zeitraum, der die Entwicklung einer Abhängigkeit wahrscheinlich macht. Dabei sind etwa zwei Drittel der Patienten mit einer Benzodiazepin-Abhängigkeit Frauen. Am häufigsten kommt es bei älteren Menschen zum Missbrauch bzw. zur Abhängigkeit von Schlaf- und Beruhigungsmitteln, wenn sie von Angststörungen, chronischen Erkrankungen oder Schlafstörungen betroffen sind oder wenn bereits vorher eine Suchtproblematik bestand.

Symptome

Typische Symptome bei einem Missbrauch oder einer Abhängigkeit von Schlaf- oder Beruhigungsmitteln sind Müdigkeit am Tag, Schwindel, ein unsicherer Gang sowie Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Typisch ist auch, dass die Wirksamkeit der Medikamente im Lauf der Zeit abnimmt, so dass die Dosis erhöht werden muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Beim Versuch, die Medikation abzusetzen, kommt es häufig zu Entzugserscheinungen – vor allem bei einem abrupten Absetzen. Typische Entzugssymptome sind Schlafstörungen, Angst, innere Unruhe, Schwitzen und Kopfschmerzen. Bei älteren Menschen können zusätzlich Schlafstörungen, Muskelkrämpfe und Halluzinationen auftreten.

Ursachen

Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine führen bei höherer Dosierung relativ schnell, meist schon nach drei bis vier Wochen, zu einer Abhängigkeit. Bei älteren Erwachsenen kommt es allerdings häufig vor, dass sie die Medikamente in niedriger Dosierung, dafür aber regelmäßig über Monate oder sogar Jahre einnehmen. In diesem Fall kommt es nach einem Zeitraum von etwa sechs Monaten häufig zu einer so genannten „Niedrig-Dosis-Abhängigkeit“.

Viele Ärzte verordnen Schlaf- und Beruhigungsmittel auch ohne eine klare Indikation (also ohne eindeutig diagnostizierte Erkrankung) und oft bedenkenlos über längere Zeiträume. Darüber hinaus werden die Patienten von vielen Ärzten nicht auf die Gefahren von Benzodiazepinen hingewiesen – also zum Beispiel auf die Gefahr einer Abhängigkeit oder die Gefahr von Entzugssymptome bei abruptem Absetzen. Dieses Verhalten begünstigt die Entwicklung eines Medikamenten-Missbrauchs bzw. einer Abhängigkeit.

Diagnosestellung

Die Diagnosestellung erfolgt, indem die Einnahmegeschichte der Medikamente und die damit verbundenen Symptome (Nebenwirkungen, aber auch Symptome bei Absetzversuchen) genau erfasst werden.

Therapie

Ein Problem bei der Behandlung eines Schlaf- und Beruhigungsmittel-Missbrauchs bzw. einer -Abhängigkeit ist, dass die Problematik häufig von den Patienten selbst aber auch von Ärzten bagatellisiert bzw. bewusst in Kauf genommen wird.

Eine Therapie wird meist dann eingeleitet, wenn der Betroffene selbst über Probleme klagt und den Wunsch zum Absetzen äußert. Auf der anderen Seite wird der Arzt eine Therapie anstreben, wenn es durch die Schlaf- oder Beruhigungsmittel-Einnahme verstärkt zu körperlichen oder psychischen Problemen kommt. In diesem Fall muss der Patient oft zunächst durch Aufklärung und motivierende Gespräche bewegt werden, einer Behandlung zuzustimmen.

Am Anfang der Therapie steht die Entzugsbehandlung. Dabei ist es wichtig, die Medikation allmählich und schrittweise zu reduzieren. Bei einer niedrig-Dosis-Abhängigkeit kann dies ambulant über einen Zeitraum von vier bis zehn Wochen stattfinden. Bei einer höheren Dosis sollte dagegen eine stationäre Entzugsbehandlung stattfinden. Bei älteren Menschen ist es wichtig, den Entzug vorsichtig durchzuführen: Er sollte umso langsamer stattfinden, je älter der Betroffene ist und je länger und höher dosiert die Medikation eingenommen wurde.

Im Anschluss wird – je nach Schwere der Problematik – oft eine psychologische Beratung oder eine Psychotherapie durchgeführt. Sie soll den Betroffenen dabei unterstützen, sein Leben auch ohne Schlaf- oder Beruhigungsmittel wieder erfolgreich zu bewältigen. In einer Psychotherapie geht es gleichzeitig oft darum, die Probleme, die überhaupt erst zur Einnahme der Benzodiazepine geführt haben (zum Beispiel eine Schlafstörung oder eine Angststörung) auf andere Art und Weise zu bewältigen.